1. September 2011
Oz, Hamburgs bekanntester Graffiti-Sprüher, wurde Ende Juli zu 14 Monaten Haft verurteilt – insgesamt saß der heute 61-Jährige in den vergangenen Jahrzehnten wegen Sachbeschädigung mehr als acht Jahre im Gefängnis. Sie wisse nicht, ob das Kunst sei, es sei ihr aber auch vollkommen egal, urteilte die Hamburger Richterin: „Wir unterhalten uns über Sachbeschädigung und das ist ein Straftatbestand. Und wenn die Kunst die Eigentumsrechte verdrängen dürfte, könnten Eigentümer sie nicht einmal mehr entfernen.“ Auch in England gab es im Juni einen ähnlichen Fall: Tox, selbsternannter „King of Taggers“, der seinen Namen über Jahre hinweg in ganz London sprühte, wurde dort zu 27 Monaten Haft verurteilt. Tox sei kein Banksy. Er habe nicht dessen künstlerischen Fähigkeiten und müsse aus diesem Grund offenbar seinen Schriftzug so häufig wie möglich verbreiten, so der Ankläger.
Die Antwort auf diesen Angriff folgte sofort – von Banksy höchstpersönlich. An eine Londoner Hauswand (Ecke Jeffreys Street / Kentish Town Road) sprühte er ein Kind, das den Schriftzug „Tox“ aus Seifenblasen formt. Ironie, Hommage oder nur wieder ein weiterer medialer Scoop von Banksy, dem „Street-Art-Superstar“ (Zeit), dem „berühmtesten Street Artist der Welt“ (Süddeutsche Zeitung), dem „Künstler-Guerillero im Großstadt-Dschungel (Bild). Sein Film Exit Through the Gift Shop wurde für den Oscar nominiert und die Kunstzeitschrift „Art Review“ gab Banksy im Jahr 2008, in ihrer Liste der 100 einflussreichsten Kunstprotagonisten, den Platz 63 – vor Maurizio Cattelan, Louise Bourgeois und John Baldessari. Es war kein Zufall, dass plötzlich die ganze Welt wusste, dass sogar das amerikanische Schauspielerpaar Brad Pitt und Angelina Jolie Arbeiten von ihm kaufte. Bis heute gehört diese Nachricht zu einem Standardnebensatz für alle Artikel über Banksy. Anders als die meisten Künstler, für die meist ein Galerist alle Belange regelt, hat Banksy schon früh die Dienste einer professionellen PR-Agentur in Anspruch genommen. So erfährt man auch, dass er zum Beispiel kürzlich eine Benefizauktion für die inhaftierten russischen Kunstaktivisten Voina veranstaltete.
Die neueste Sensationsmeldung lautet: Die Werke von Banksy sollen unter Denkmalschutz gestellt werden. Es ist der britische Jurist John Webster der dies fordert, schließlich hat er an der Universität Bristol seine Doktorarbeit mit dem Titel „Should the work of Banksy be listed?“ veröffentlicht. Darin spricht er sich dafür aus, die Wandarbeiten von Banksy zum nationalen Kulturgut zu ernennen. Webster begründet dies mit den hohen Preisen auf dem Kunstmarkt, dem internationalen Bekanntheitsgrad Banksys und der Tatsache, dass in einer Online-Bürgerbefragung die Anwohner des Stadtteils Bristol, dem angeblichen Geburtsort des Sprayers, zu 93 Prozent für den Erhalt stimmten. „Man kann sagen, dass seine Werke, aufgrund ihrer politischen und sozialen Aussagen eine kulturelle Bedeutsamkeit für die heutige Gesellschaft haben“, schreibt Webster. „Die Öffentlichkeit hat angedeutet, dass dies erhalten und damit auch konserviert werden muss.“
So abwegig die Idee, Banksy unter Denkmalschutz zu stellen, zunächst einmal klingen mag, sie ist es für englische Verhältnisse keineswegs: Bereits der Zebrastreifen, den die Beatles mit dem Plattencover ihres Albums „Abbey Road“ weltberühmt machten, steht auf der Liste der erhaltenswerten Kulturgüter.
In Deutschland gibt es rund 1,3 Millionen Kulturdenkmäler, darunter zum Beispiel ein Kopfsteinpflaster in Eutin, Reiterstandbilder in Berlin oder das Universitätsklinikum in Aachen. Das bayrische Denkmalschutzgesetz besagt: „Denkmäler sind von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt.“ Alles ziemlich dehnbare Begriffe, also warum nicht auch Street Art unter Denkmalschutz stellen?
Doch so verlockend dieses Konzept auch erst einmal klingt, eine Grundproblematik bleibt bestehen: Wann wird ein Kunstwerk so bedeutend, dass es für die Nachwelt erhalten werden muss? Warum Banksy und nicht Oz oder Tox? Und wer möchte es sich anmaßen, dies zu entscheiden? Verwaltungsbeamte, Bürger, Kuratoren? Verkannte Künstler gab es zu jeder Epoche. Einer der letzten war zum Beispiel der tschechische Fotograf Miroslav Tichý, der Frauen beim Sonnenbaden mit selbstgebastelten Kameras dokumentierte und dafür acht Jahre lang in psychiatrischen Einrichtungen saß. Er führte das Leben eines Obdachlosen. Es dauerte lange, bevor der internationale Kunstzirkus Tichý entdeckte und Gefallen an seinen Werken fand. Geschichte wurde schon immer von Gewinnern geschrieben und es sind meist die Gewinner, die über Kulturdenkmäler entscheiden. Banksy selber wäre vermutlich gegen diese Form von Protektionismus. Graffiti und später Streetart, sind als politische und künstlerische Ausdrucksformen einer Subkultur entstanden, deren Reiz gerade in der Vergänglichkeit der Werke liegt und die sich den Museumstempeln erfolgreich verweigern. Sie würden durch den Denkmalschutz plötzlich eine absurde Form von Musealisierung im öffentlichen Raum erleben. Und würde diese Form der teilweisen Legalisierung nicht sogar zum Ende der Kunstform beitragen?
Doch auch irrwitzige Pointen wären denkbar: Wer ein Graffito entfernen wollte, müsste sich plötzlich aufgrund von Vandalismus eines denkmalgeschützten Kulturguts vor Gericht verantworten. Sprüher könnten plötzlich Hausbesitzer verklagen. Welche Umkehrung der Geschichte!