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Erfurter Erklärung 

4. Juli 2024, Maurice Kusber


der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland. Demokratiestärkung in Zeiten antidemokratischer Entwicklungen


Wir, die Akteur*innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland, sehen es als unsere fachliche und gesetzliche Pflicht an, eine inklusive, vielfältige und demokratische Gesellschaft zu fördern. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist eine zentrale Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe zur Demokratiebildung, politischen Bildung und Beteiligung junger Menschen. Unser tägliches Wirken in Einrichtungen und Angeboten, Trägern und Dachverbänden der Offenen Kinder- und Jugendarbeit richtet sich darauf, Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, sich selbstbestimmt in eine diverse Gesellschaft einzubringen, die sie betreffenden Belange mitzubestimmen und für die Gestaltung demokratischer und solidarischer Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen (siehe §11 SGB VIII). Dazu halten wir offene Angebote vor, in die junge Menschen ihre Interessen einbringen, an denen sie sich freiwillig beteiligen und Verantwortung übernehmen können. So erfahren sie Demokratie ganz praktisch. Wir setzen uns jugend- und sozialpolitisch auf allen Ebenen dafür ein, positive Lebensbedingungen für junge Menschen zu schaffen und zu erhalten. Dabei treten wir nachdrücklich dafür ein, dass die Diversität junger Menschen anerkannt, ihre Gleichberechtigung gefördert sowie ihre politisch-demokratische Teilnahme und ihre sozialökonomische Teilhabe gestärkt werden.

Mit großer Sorge betrachten wir daher die Präsenz und den zunehmenden Einfluss der AfD und anderer antidemokratischer Akteur*innen in der politischen Landschaft Deutschlands. Die Wahlergebnisse vom 09. Juni 2024 bestärken dies auch über den nationalen Kontext hinaus. In vielen Positionen und Aussagen dieser Akteur*innen ist eine direkte Bedrohung der Demokratie und der Grundwerte auszumachen, auf denen unsere Gesellschaft, das politische System der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union basieren. Die Positionen stehen auch dem pädagogischen Auftrag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und den fachpolitischen Zielen unserer Arbeit fundamental und praktisch entgegen. Insbesondere in folgenden Punkten widersprechen die Programmatiken antidemokratischer Akteur*innen den Grundprinzipien Offener Kinder- und Jugendarbeit:

Demokratie und Solidarität:

Die AfD und andere antidemokratische Akteur*innen erwecken vielfach den Anschein, sie würden basisdemokratische Ziele verfolgen. Dabei haben sie kein Verständnis von Demokratie als Lebensform. Sie negieren in weiten Teilen die historische Verantwortung, welche der bundesdeutschen Demokratie nach dem Nationalsozialismus und in Teilen den Erfahrungen in der DDR innewohnt. Diese Verantwortung ist jedoch ein Ausgangspunkt der Entwicklung unseres Arbeitsfelds. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit erkennt die Diversität und Interessenkonflikte in unserer Gesellschaft und die unterschiedlichen Erfahrungen, die damit einhergehen, an. Sie steht für das Einüben eines toleranten, solidarischen, kontroversen und demokratischen Miteinanders in allen Lebensbereichen.

Vielfalt und Inklusion:

Die AfD und andere antidemokratische Akteur*innen sprechen sich wiederholt gegen die Anerkennung und Gleichstellung von Minderheiten aus. Solche Positionen stehen im Widerspruch zu den Menschen- und Grundrechten und dem darauf bezogenen Verständnis einer inklusiven und demokratischen Gesellschaft sowie einer pädagogischen Praxis, in der junge Menschen unabhängig z.B. ihrer Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung Anerkennung und Teilhabe erfahren und miteinander erproben können.

Bildungs- und Jugendpolitik:

Die Programme und Kampagnen der AfD und anderer antidemokratischer Akteur*innen propagieren ein rückwärtsgewandtes Jugend- und Bildungsverständnis, das nicht auf die Förderung kritischen Denkens und selbstbestimmten Handelns ausgerichtet ist. Vielmehr führen die Positionen dazu, dass junge Menschen ausgegrenzt, kriminalisiert und pädagogisch nur noch als Gegenstand von Disziplinierung und Vereinheitlichung angesehen werden.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit:

Die klima- und wissenschaftsskeptischen Positionen und das Beharren antidemokratischer Akteur*innen auf uneingeschränktem Konsum und dem vorrangigen verfügen über Ressourcen, als vermeintlichem Ausdruck von Freiheit, stehen in deutlichem Widerspruch zu der dringenden Notwendigkeit, junge Menschen in der Entwicklung eines nachhaltigen Denkens und Handelns zu bestärken und zu begleiten. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist sich der Verantwortung bewusst, die wir für die Zukunft unseres Planeten und die folgenden Generationen tragen.

Europa und Internationalität:

Die AfD und andere antidemokratische Akteur*innen richten sich gegen eine verstärkte europäische Zusammenarbeit und die weitere demokratische Stärkung der EU. Internationalen Austausch und Zusammenarbeit sehen sie als Gefährdung nationaler Identitäten und Interessen. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit bekennt sich zur Europäischen Youth Work Agenda im Kontext der Europäischen Union und des Europarates. Sie nutzt die verschiedenen Formate und ist Teil der europäischen und internationalen Jugendarbeit zur Entwicklung von Weltoffenheit und globaler Verantwortung.

Die hohe Präsenz antidemokratischer Positionen in der Öffentlichkeit führt dazu, dass ohnehin politisch und sozialökonomisch benachteiligte junge Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen zunehmend von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind. Vermehrt sind damit sowohl unsere Nutzer*innen, als auch unsere Einrichtungen und Angebote von physischen und psychischen Angriffen antidemokratischer Akteur*innen betroffen. Fachkräfte und Teams der Offenen Kinder- und Jugendarbeit berichten außerdem von der Einflussnahme auf ihre pädagogische Arbeit, ihre Konzepte und ihre Finanzierung, u.a. in Stadträten, Verwaltung und Jugendhilfeausschüssen. Diese Situation trifft viele und betrifft uns alle.

Wir fordern deshalb alle Kolleg*innen, Träger, Fachnetzwerke, öffentlichen Träger sowie die demokratischen Parteien auf kommunaler, Landes- und Bundesebene auf, sich entschlossen gegen diese Angriffe auf unsere Gesellschaft zur Wehr zu setzen und klar Stellung zu beziehen, wo Solidarität, Vielfalt, Demokratiebildung, politische Bildung und Beteiligung oder der Einsatz für eine nachhaltige und soziale, gesellschaftliche Entwicklung in Frage gestellt werden. Es ist unerlässlich, dass wir gemeinsam…

  • eine Kultur der Offenheit, der Kontroverse und des Dialogs fördern, die es jungen Menschen ermöglicht, sich kritisch mit verschiedenen politischen Meinungen auseinanderzusetzen und so zur Meinungs- und Willensbildung beizutragen.
  • demokratische Positionen auch nach außen sichtbar und gleichzeitig deutlich machen, dass es in der Kinder- und Jugendarbeit gemäß §§ 1, 3, 4 und 11 SGB VIII kein ‚Neutralitätsgebot‘ gibt, sondern die Vielfalt von Meinungen und Positionen explizit gefördert werden soll.
  • aktiv gegen jede Form von Diskriminierung Position beziehen.
  • Vielfalt als Stärke begreifen, den Wert der Demokratie und der Menschenrechte vermitteln und auf dieser Grundlage das demokratisch-politische Handeln junger Menschen in ihren Lebenswelten stärken.
  • verstärkt niedrigschwellige Bildungsprogramme und notwendige Strukturförderungen in den Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe voranbringen und eine Engführung auf Präventionsprogramme fachlich zurückweisen.
  • einen offenen Raum für junge Menschen bieten, die aufgrund vielfältiger Erfahrungen auf der Suche nach gesellschaftlicher Mitgestaltung und politischer Positionierung sind.
  • vielfältige Auswirkungen aktueller, gesellschaftlicher Krisen auf junge Menschen und ihre sozialen Umfelder abmildern, aber vor allem auch kritisieren und ihnen ihre Rechte der Einflussnahme und des politischen Handelns aufzeigen.
  • bei der nachhaltigen Mitgestaltung gesellschaftlicher Transformationen, im Sinne einer für alle lebenswerten Zukunft, an der Seite junger Menschen stehen.
  • zusammen mit jungen Menschen für die Gestaltung eines demokratischen Europas einstehen sowie internationale Arbeit als notwendigen Teil des Kampfes gegen Nationalismus und Rassismus verstehen und diese Angebote stärken.

Als Offene Kinder- und Jugendarbeit verpflichten wir uns, unsere pädagogische Arbeit an Demokratie, Menschenrechten, Diversität, Inklusion, Solidarität und Emanzipation auszurichten. Die Kritik an z.B. Rassismus, Heterosexismus, ökonomischen Verwertungslogiken und antidemokratischen Ideologien ist und bleibt Teil unserer sichtbaren, pädagogischen Praxis. Wir stehen ein für eine offene und gerechte Gesellschaft, in der alle Menschen ungeachtet ihrer persönlichen Merkmale gleichberechtigt miteinander leben und ihre Rechte auf politische Teilnahme und sozioökonomische Teilhabe realisieren können.

Dafür bieten wir jungen Menschen Räume zur demokratischen Mitgestaltung, zum Schutz vor Diskriminierung und zunehmender Anforderungen der Erwachsenengesellschaft. Damit fördern wir ihre Demokratiebildung und politische Bildung, die Artikulation ihrer Anliegen und Möglichkeitsräume eigene Interessen und Konflikte mit anderen auszuhandeln.

Das ist unser Beitrag, die Gesellschaft und Demokratie konkret mitzugestalten und gleichzeitig vor einem erweiterten Zugriff antidemokratischer Akteur*innen zu schützen. Dazu gehört auch, junge Menschen als handlungs- und demokratiefähige Bürger*innen unserer Gesellschaft anzuerkennen, zu fördern und ihre Rechte zu realisieren. Wir laden alle ein, sich uns in diesem wichtigen Kampf anzuschließen. Denn nur gemeinsam können wir den sozialen Zusammenhalt als Basis unserer demokratischen Gesellschaft schützen und stärken.

Kontakt:
Bundesarbeitsgemeinschaft

Offene Kinder- und Jugendarbeit e.V.

Geschäftsführer Volker Rohde
aktion@bag-okja.de

Link: https://www.offene-jugendarbeit.net/index.php/projekte/erfurter-erklaerung

„Wir sind da!“ 5 Thesen zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Pandemie

30. Januar 2021, Maurice Kusber

Ich durfte zuletzt an der Erstellung des neuen Thesenpapiers des Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit  und der BAG Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen mitarbeiten. Das Thesenpapier stellt die Verdichtung der Ergebnisse, einer Ende 2020 stattgefundenen Tagung dar. Die Thesen sollen zum Austausch und zur Diskussion beitragen. Das vollständige Dokument kann hier als PDF runtergeladen werden.

 

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